Bericht zur Jahrestagung 2013 in Rothenburg ob der Tauber

Bericht aus notiert

Die Mitglieder der Freunde und Förderer waren zum Jahrestreffen eingeladen. Wie immer gilt diese Einladung sowohl den Mitgliedern des Bundesverbandes als auch den Mitgliedern der korporativ angeschlossenen Gruppen auf Diözesan-, Bezirks- oder Stammesebene.

In diesem Jahr ging es beim Studienthema »Quo vadis ecclesia? Spuren des II. Vatikanischen Konzils im heutigen Gesprächsprozess der Kirche« um Hoffnungen und Befürchtungen zur Entwicklung der katholischen Kirche. Dass ein neuer Papst an die Spitze der Kirche gewählt wurde, konnten Vorstand und Beirat bei der Planung der Veranstaltung allerdings noch nicht wissen; so hat das Studienthema überraschend einen zusätzlichen Aspekt erhalten. Wie sie diesen Studientag erlebt hat, schildert Gisela Wand (s.u.).

Zum Jahrestreffen gehört auch eine Exkursion, um auch Eindrücke von der Umgebung des Tagungsorts zu gewinnen, der dieses Mal ein ehemaliges wilhelminisches Kurhotel an der Tauber – und heutige evangelische Bildungsstätte – war. Was lag also näher, als diese historische, weit über die Grenzen Europas bekannte Stadt oberhalb der Tagungsstätte durch eine Stadtführung zu erkunden? Der gleichzeitige historische Händler- und Handwerkermarkt gab eine gelungene Kulisse hierfür ab. Nachmittags machte ein Spaziergang an der Tauber mit dem Vorsitzenden des Mühlenvereins mit den zahlreichen Wassermühlen, von der Tauber gespeist, bekannt. Am Ende des Mühlenspaziergangs lag die Kobolzeller Kirche, in der Teilnehmer und Gemeindemitglieder die Pfingstmesse feierten – zelebriert von Peter Bleeser.

Am Abend im Theatersaal des Hauses bedankten sich Vorstand und Beirat der Freunde und Förderer bei Winfried Kurrath für dessen intensive Tätigkeit als Redakteur der Zeitschrift »notiert« und des F+F-Newsletters und bei Dietger Schulenberg für seine langjährige Tätigkeit als Leiter der Geschäftsstelle in Neuss-Holzheim. Der Dank wurde ausgedrückt in einem Bühnenprogramm mit kabarettistischen Elementen und einer Moritat zu Dietgers Tätigkeit in DPSG und F+F.

Der letzte Tag gehört traditionell der Mitgliederversammlung des Vereins. In diesem Jahr standen Wahlen zu Vorstand und Beirat an. Alle Vorstandsmitglieder kandidierten erneut und wurden mit großen Mehrheiten wiedergewählt.

In den Beirat wurden Robert Bachmann, Susanna Kersting-Kuhn und Peter Kurtscheidt wiedergewählt. Neu in den Beirat gewählt wurde Pfarrer Peter Bleeser, früherer Bundeskurat der DPSG und Bundespräses des BDKJ.

Der neue Bundesvorsitzende der DPSG, Dominik Naab, berichtete ausführlich aus dem aktiven Verband.

Bericht zum Studienteil: Ein Tag vor Pfingsten – Eindrücke eines Zaungastes

Von Gisela Wand
Als am 17. Mai, dem Freitag vor Pfingsten, fast alle der an die hundert angemeldeten F+F zusammengefunden hatten im achtgeschossigen Haus über der Tauber, als sie ihre Zimmer bezogen und zu Abend gegessen hatten und schließlich den Frankenwein kosteten im blauen oder roten Salon, kam auch kurz das Programm zur Sprache: Thema des Referats am nächsten Vormittag würde das Zweite Vatikanische Konzil sein. Ich zuckte zusammen. Wie? Noch einmal zurückblicken und die Ästhetik des tridentinischen Ritus und der alten Messordnung beschwören? Abermals die Würde der Liturgie gegen schlappe Predigten des Wortgottesdienstes ausspielen, Martin Mosebachs »Häresie der Formlosigkeit« durchkauen und Gegenreformation spielen müssen im Jahr 2013? Die Neigungen des eben retirierten deutschen Papstes Benedikt XVI. und auch das Durchschnittsalter der versammelten Freunde und Förderer ließen mich eine solche Kritik am Vatikanum für nicht unwahrscheinlich halten.

Am nächsten Vormittag schien die Sonne. Es war ein Morgen, der nun wirklich nach Mai aussah nach verregneten Wochen. Ich erwog einen Ausflug nach Rothenburg.

Und blieb dann doch. Ich wollte es nun wissen. – und mich lockte der Saal. Er lag, sonnendurchflossen, gegen Südosten: eine fürstliche Architekturfantasie der vorletzten Jahrhundertwende mit riesengroßen, zart bemalten Bogenfenstern, hinter denen links, hang-aufwärts, das reine Himmelblau stand, rechts, zur Tauber hin, Maiengrün in allen Schattierungen glänzte und geradeaus sich das noch helle Laub einer eben ausgeschlagenen Rotbuche fast kokett vom Blumendekor des Fensters umspielen ließ. Hier war es sensationell schön. Dass aus diesem Vormittag aber ein Glücksfall wurde, lag am Referenten. Seine Projektionswand schnitt schnöde den Fensterbogen. Aber wie sollte er das merken, da er so ganz bei der – bei seiner – Sache war. Hans-Georg Hunstig aus Paderborn, Pfadfinder, Mitglied der Freunde und Förderer, Jurist, Sprecher für pastorale Grundfragen des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) und Berater der Pastoralkommission der Bischofskonferenz hat ein Anliegen, das sein Leben und seine Arbeit bestimmt, das teilte sich auf der Stelle und gleich mit dem ersten Bild mit. Er trauerte beileibe nicht dem Tridentinum nach. Ganz im Gegenteil machen ihm die Restriktionen der Kurie und die Entwicklung der Kirche seit den 1980er Jahren Sorgen. Mehr noch: ihre Weltfremdheit empört ihn. Nach der Aufbruchsstimmung, die das Konzil (1962 – 1965) mit sich gebracht habe, entferne sich die Amtskirche zunehmend von der Lebenswirklichkeit auch der Bürger, die sich ihr verbunden fühlen. Das Thema des Vortrags: »Quo vadis Ecclesia?« Dazu als Menetekel das den Vortrag eröffnende Bild eines Kirchturms, der ratlos aus einer Wanderdüne ragt. Wind und Sand haben die Kirche unter ihm verschwinden lassen im Laufe der Zeit.

Was einmal in mir katholisch war, hat sich seit langem zerschlissen, ich bin keine F+F, sondern nur die Partnerin eines lieben Pfadfindermenschen. Ich kannte den Referenten nicht und habe nicht mitgeschrieben. Der Text des Vortrags soll in seinen Hauptzügen im Internet nachlesbar werden. Wohin aber die katholische Kirche gehen soll für Hans-Georg Hunstig, ist mir auch ohne Mitschrift recht gut zu behalten. Für diesen prominenten Vertreter der katholischen Laienbewegung ist – vor Rom und seiner globalen Kirchenpolitik – einerseits das Neue Testament Maßstab und Orientierung für ein lebendiges Christentum, und andererseits ist es die Apostelgeschichte. Im Geist des Vatikanums will Hunstig Existenz und Evangelium unmittelbar miteinander verschränkt wissen. Und in den Gemeinden sollen die Vertreter der Amtskirche möglichst eng mit möglichst gebildeten Laien zusammenarbeiten und sich – nach dem Vorbild der Apostel – mit ihnen beraten. Fast provozierend die Kunde davon, dass es in der Not auch ohne Priester geht: In einer katholischen Gemeinde in Japan habe man 200 Jahre lang Glauben und Ritus ohne Geistliche lebendig erhalten und weiter getauft, getraut und begraben dank des »allgemeinen Priestertums der Laien«, wie es das Konzil ausdrücklich neu bestätigt und beglaubigt habe. Hunstig illustrierte das Gesagte mit einem Bild vom Fußbodenmosaik vor dem Altar der Brotvermehrungskirche am See Genezareth. Zu sehen war ein Korb mit vier Broten. Warum liegen nur vier Brote im Korb statt der überlieferten fünf? Die landläufige Antwort: Mit dem fünften Brot vollziehe der Priester die Eucharistie auf dem Altar. Hunstigs unorthodoxe, mir unbekannte Deutung: Das fünfte Brot sei jeder von uns. Es liege an jedem von uns, die Hungrigen zu speisen und aktiv christlich zu wirken. Der Zaungast war überrascht.

Weil für Hunstig der Akzent so eindeutig auf Aktivität und Verantwortung jedes Einzelnen liegt, überwog im Vortrag keineswegs die Klage, sondern im Zentrum stand, zukunftsgerichtet, der Appell zum Handeln. Frage nicht in Rom und bei den Autoritäten und Repräsentanten der Kirche nach, hörte ich. Wolle in erster Linie nicht betreut und geleitet werden, sondern frage dich selbst. Ich staunte. Dieses Primat des individuellen Gewissens hörte sich mir sehr evangelisch und nach Luthers Freiheit des Christenmenschen an. Öfter fiel später denn auch der Name Edward Schillebeeckx, des niederländischen Jesuiten und Mitgestalters des Konzils, dessen Reformkurs Rom bald rabiat als zu protestantisch rügte (Schillebeeckx starb 2009). Pfadfinder Hunstig berief sich aber gar nicht auf Luther oder Schillebeeckx, sondern auf Baden-Powells Lebensmaxime »Paddle dein Kanu selbst!«(Wobei diese deutsche Übersetzung von BiPis »Paddle your own canu!« das Original nicht ganz trifft.)

 

Natürlich hatte der Referent die ihn leitenden Impulse von den führenden Köpfen des »Konzils im Konzil« von 1962, von Frings, Rahner, Küng und dem jungen Ratzinger empfangen, aber er überließ es den Zuhörern, diese Namen ausführlicher zu kommentieren. Er setzte vielmehr alle seine Hoffnung auf eine katholische Re-Liberalisierung in Jorge Bergoglio, den gerade eben erst (am 13. 3. 13!) inthronisierten lateinamerikanischen neuen Papst Franziskus, der statt »Glauben und Vernunft« (Ratzinger) »Glauben und Gerechtigkeit« auf sein Panier geschrieben habe und den Bruch mit verkrusteten Strukturen der Kirche nicht scheue. Dass er am Gründonnerstag Gefangenen, unter ihnen auch Frauen, die Füße gewaschen, dem Finanzmarkt die Leviten gelesen, Geld zum Dienen statt zum Herrschen erklärt habe und außerdem als hohe Pflicht den Dienst an den Armen fordere, waren für Hunstig Fanfarenstöße zur Eröffnung einer neuen Ära. Politiker müssen sich die erste Zwischenbilanz nach hundert Tagen gefallen lassen. Reichen denn Katholiken schon die wenigen päpstlichen Tage Bergoglios für diesen ziemlich erheblichen Optimismus? Ich dachte an den Jubel nach dem »Yes, we can!« in der Antrittsrede des amerikanischen Präsidenten Obama seinerzeit und daran, wie bereits 1784 Lessings weiser Nathan (in Szene I. 3) das »leichtgläubig-wundersücht’ge Volk« milde belächelt hatte. Zaungäste wissen Idealismus zu würdigen, sind aber eher skeptisch.

Insgesamt forderte Hunstig Mündigkeit ein, authentisches Christentum ohne zu viel Struktur, Organisation und Gerede. Er forderte (allerdings reichliche zweihundert Jahre nach Aufklärung und ersten demokratischen Verfassungen) den Abschied vom hierarchischen Denken. Er will den Dialog, der zum Handeln führt, und sieht ermutigende Spuren in jungen, witzigen Motti wie etwa in »Jonas – der dicke Fisch« als Name einer Jugendgruppe oder wie in der Kerkeling-Kontrafaktur »Ich bin dann mal da!«. Sein Schluss-Appell: »Lasst die Bischöfe nicht allein! Unterstützt sie!«

Es gibt immer einmal wieder kluge Vorträge.  Auch in Rastatt gab es einen sehr erhellenden Vortrag zum deutsch-französischen Verhältnis. Man fühlt sich eine Zeit lang intellektuell belebt. Manchmal kauft man sich auch noch ein Buch, um der Sache eventuell weiter nachgehen zu können. Wenn aber nur der Kopf angesprochen ist, bleibt meistens der Nachhall schwach. Am Pfingstsamstag in Wildbad ereignete es sich, dass in der Atmosphäre von Licht und schöner Weiträumigkeit ein kluger Vortrag herzbewegend wurde. Warum? Weil Sachkenntnis und Programmatik von der produktiven Unruhe des Vortragenden durchwirkt waren. Er fährt in die Ferien oder geht durch den Alltag, und es fällt ihm auf, was in ihm eine Resonanz erzeugt und Zeichencharakter gewinnt. Darum konnte er diese muntere und nachdenklich machende Kollektion von Slogans und höchst persönlich aufgefischten Bildmotiven mitbringen. So schaut kein Funktionär in die Welt, schien mir, sondern das ist die Wahrnehmung eines Künstlers. Besonders von denen weiß man, dass sich ihnen aus dem Strom der Eindrücke ausfiltert, was in Beziehung zu dem steht, was innerlich in ihnen arbeitet.

Nun gut, das Referat war das Eine. Die zweite Überraschung aber waren die F+F, war das Publikum selbst, denn im Anschluss an den Vortrag waren die Theologen Professor Heiner Katz und der vom Bistum Trier gebeutelte Pfarrer Peter Bleeser (heute in Koblenz) bereit, auf dem Podium Platz zu nehmen.  Stephan Jentgens moderierte. Nicht wenige der Zuhörer meldeten sich zu Wort und bekräftigten mehrstimmig das bisher Gesagte, konkretisierten manches, berichteten von eigenen Hoffnungen und Enttäuschungen und hielten mit harscher Kritik nicht zurück. Zu Asche sei die Glut des Anfangs nach dem Konzil geworden. Stolz sei man darauf gewesen, ein katholischer Priester zu sein, als es von der Kirche hieß »Wegen Umbau geöffnet«. Der Geist des Konzils selber habe dazu inspiriert, Theologie zu studieren. Aber dann habe Rom zunehmend gemauert und Liberalisierungsbestrebungen abgeschmettert. Reformwillige Bischöfe seien nach Rom einbestellt, und eingeschüchtert worden. Das  Rücktrittsgesuch habe für die Unterschrift vorbereitet vor ihren Augen auf dem Schreibtisch gelegen. Der Name dazu: Kardinal Bertone. Lebensweltlich wichtige Themen wie Fragen der Sexualethik (der Rolle von Familie und Ehe, der Stellung der Kirche zu Geschiedenen und Wiederverheirateten) seien ebenso eingefroren worden wie etwa der interkonfessionelle Dialog und die Akzeptanz von Frauen am Altar. Die Volkskirchenbewegung stagnierte, das gegenwärtige Misstrauen Roms gegen die Einbeziehung der Laien sei überdeutlich, und manche Bischöfe entwickelten erneut das fürstbischöfliche Bewusstsein und Gepränge von ehedem. Ein ungeahntes Ausmaß an angestauter Enttäuschung und Bitterkeit brach sich hier Bahn an diesem lichten, blanken Vormittag! Hans-Georg Hunstigs Referat schien Schleusen geöffnet zu haben. Außer von der Ignoranz der katholischen Kirche etwa in Fragen der Geburtenregelung (inklusive des Kondomverbots im aidsverseuchten Afrika) oder des Zölibats gerade angesichts der ans Licht gekommenen Gräuel hatte der Zaungast wenig mitbekommen von den Binnenspannungen einer Weltreligion, die aufgehört hatte, ihm viel zu bedeuten.

Nicht dass nun lauter Rebellen im Saal gesessen hätten. Es sprachen nur ernsthafte, sich engagierende heutige Christen und vermittelten eine Ahnung von den Krisen, die durchzustehen ihnen die letzten dreißig Jahre Kirchenpolitik zugemutet hatte. Ich empfand Sympathie und Respekt. Eben hatte sich Benedikt XVI. zurückgezogen, der »deutsche Papst«, der einstige Motor des Konzils, der sich später radikal traditionalistisch umentschied. War sein Rückzug das Signal, nun Hans-Georg Hunstig einzuladen? Durfte man endlich wieder offen reden? – So war es natürlich nicht. Nur zufällig fiel Benedikts Demission mit dem 50. Jahr nach dem Beginn des Konzils zusammen, in dem man wohl Anlass zur Frage haben kann, wohin die Kirche denn nun steure. Rückbesinnung und Perspektive nach vorn waren also rein kalendarisch an der Zeit. Für den Zaungast allerdings blieb doch ein merkwürdiger Geschmack auf der Zunge. Ihm schien es sonderbar, dass er während des Pontifikats von Johannes Paul II. (Wojtyla) und Benedikt XVI. nie ähnlich freimütige Töne oder auch nur zarte Seufzer im Laufe der Jahrestreffen der F+F vernommen hatte. Aber wahrscheinlich entgeht Zaungästen einiges.